: True Lies: Moussa Kone im Theater Akzent
Seit einigen Jahren initiiert die Arbeiterkammer Wien künstlerische Interventionen im Theater Akzent. 2006 gestalteten Helmut und Johanna Kandl den Eisernen Vorhang, eine Verbindung von Malerei mit einer Videoprojektion, 2011 folgten ebenfalls von ihnen Spiegelarbeiten fürs Foyer, ein Neuarrangement der Schaukästen sowie zwei temporäre, für den Wechsel bestimmte künstlerische „Baustellenplanen“ im Zuschauerraum, mit denen sie der opulenten postmodernen Architektur des Theaters eine Sparästhetik von Prekariat und Provisorium entgegensetzten.

Nun rückt Moussa Kone, der österreichische Künstler mit dem delphischen Namen, der Gesellschaft des Spektakels zu Leibe. Ohne weitere Umwege führt uns der Kontrakt mit dem Zeichner auf die Bühne und in den Zuschauerraum. Kone hat zwei Triptychen gezeichnet, ein Format, das der Künstler schätzt. Im Original Tuschezeichnungen auf Papier, wurden die Bilder für den Zuschauerraum auf jeweils 3 x 9 Meter großen Bannern als Großbilder reproduziert. Vieles kann gleichzeitig erzählt werden, die Ebenen überlagern sich. Für das Theater Akzent untersucht Moussa Kone nun das Verhältnis von Darsteller und Text bzw. von Schauspieler und Publikum. Die Lektüre eines Triptychons geht immer von der Mitte aus, weiß Kone, und tauscht von den jeweils drei Motiven die mittleren aus, um die vis-à-vis installierten Fahnen inhaltlich miteinander zu verschränken.

Mit seiner einprägsamen Methode rituell kontrollierter Schraffuren macht Moussa Kone die Liaisons Dangereuses deutlich, die Souffleurkasten, Scheinwerferlicht, ein gesichtsloses Publikum, Spiegel und I-Phone in einen geheimnisvollen schwarz-weißen Dialog treten lassen.

Der Künstler setzt bei Denis Diderots berühmter Theatertheorie an, der in Dialogform verfassten Schrift „Paradox über den Schauspieler“. Die darin enthaltenen Überlegungen zur Verfremdung inspirierten moderne Dramatiker wie Bertolt Brecht und seine als episch bzw. dialektisch in der Geschichte verankerte Regiearbeit.

Das Paradox der Natürlichkeit, das darin besteht, Gefühle bzw. den Eindruck von Spontaneität und Authentizität durch Imitation, also kalte Strategie, zu erreichen, stellt Diderot dem Paradox der Rührung gegenüber: erst wenn der Schauspieler selbst ungerührt bleibt, vermag er zu rühren, geht es doch im Theater nicht um wahre Empfindungen, sondern um die Darstellung von Empfindungen. Schließlich verweist der Autor auf das Paradox der Wirkung, die nur dann zu erzielen ist, wenn man sie nicht verbissen anstrebt. Der reflektierte Schauspieler soll seine Rolle als Maske verstehen und sie beherrschen, ist die Imitation von Gefühlen doch überzeugender als echte Gefühle.

Diderots Methode des Zwiegesprächs (auch sein Roman „Rameaus Neffe“ ist ein philosophischer Dialog) übersetzt Moussa Kone in Bilder, die Formen des Diskurses aufzeigen. So stellt er (Blick-)Bezüge zwischen dem Schauspieler und seinem Text her, die Figur des Souffleurs bzw. der Souffleuse repräsentiert den Autor und soll im weiteren Sinne für Authentizität stehen, blickt aus dem Kasten auf den Schauspieler und dieser wiederum zurück auf den Souffleur (den Text). Die mittlere Zeichnung zeigt einen quasi neutralen Zoom auf beide. Rollenmodelle, Gesellschaftsbühne und das eigene Selbstverständnis sind der Stoff der Zeichnungen, die auf der Ambivalenz von Schein und Sein aufbauen. Gespielte Realität wird für den Zuschauer zu einer erlebten Realität.

Im Triptychon entlang der rechten Saalwand geht es um das Verhältnis von Schauspieler und Publikum. Die Zuschauer – wir sehen sie einmal von hinten, den Blick auf die Bühne gerichtet, einmal aus der Perspektive des Schauspielers, der in Hamletpose auf der Bühne steht – sind eine identitätslose Masse. Die Bilder erzählen von Anonymität, dem Formalismus starrer Inszenierungen, den Lügen der Darsteller und der Manipulation der Zuschauer, von emotionaler Distanz und der Schere, die sich zwischen Gefühl und Ausdruck auftut.

Die Requisite Maske taucht in zwei der drei Zeichnungen auf. Sie lassen den Zusammenhang zwischen Verkleidung, Blick und Physiognomie aus philosophischer, ethnologischer, soziologischer oder kunsthistorischer Sicht eher offen, als sie ihn einengen oder festlegen. Fantômas, der Mann mit den 1000 Masken, könnte den Theaterbesuchern in den Sinn kommen, der Großherzog Rudolf von Gerolstein, der im Bestseller „Die Geheimnisse von Paris“ im 19. Jahrhundert durch die Hauptstadt der Moderne streift, der dunkle Ritter Batman oder die Superbösewichte bei James Bond, das Phantom der Oper oder die Figuren des Edgar Wallace, der das Genre in zahllosen Varianten durchdekliniert hat.

Im Schminkspiegel taucht der Schauspieler auf, der sich mit dem Handy selbst fotografiert. Die moderne Form der Selbstinszenierung ist das Ende, könnte aber auch der Anfang der Erzählung sein.

Schon seine erste Einzelausstellung in der Wiener Galerie Charim hat Moussa Kone dem Komplex Theater gewidmet. Auf den Tuschezeichnungen auf Papier, die den originalen Vorlagen für die Banner im Theater nahe sind, beschäftigt sich der Künstler mit dem Konzept der „Vierten Wand“, die im Theater die Grenze zwischen Bühne und Zuschauerraum, zwischen inszenierter und realer Welt, bezeichnet. Moussa Kone blickt hinter diese vierte Wand des Bühnenraums, macht sie durchlässig und stellt die Frage nach der Wirklichkeit im gezeichneten Bild.

„Die gesamte Ästhetik Diderots beruht bekanntlich auf der Gleichsetzung der Theaterbühne mit dem gemalten Bild“, sagt Roland Barthes in „Diderot, Brecht, Eisenstein“, einem Essay von 1973. „Das perfekte Stück ist eine Abfolge von Bildern, das heißt eine Galerie, eine Ausstellung: die Bühne bietet dem Zuschauer ebenso viele wirkliche Bilder wie es in der Handlung für den Maler günstige Momente gibt. Das Bild (in der Malerei, im Theater, in der Literatur) ist ein unmittelbarer, unzersetzbarer, reiner Ausschnitt mit sauberen Rändern, der seine ganze unbenannte Umgebung ins Nichts verweist und all das ins Wesen, ins Licht, ins Blickfeld rückt, was er in sein Feld aufnimmt.“

Das klingt, als hätte Roland Barthes die Zeichnungen von Moussa Kone studiert. Barthes geht von folgender Gemeinsamkeit im Denken von Diderot, Eisenstein und Brecht aus: von der Suche nach jenem absoluten Augenblick, aus dem sich Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft zu einem grandiosen Bogen fusionieren und alles Abwesende anwesend erscheint. „Das wahre Bild der Vergangenheit huscht vorbei“, sagt Walter Benjamin, „nur als Bild, das auf Nimmerwiedersehen im Augenblick seiner Erkennbarkeit eben aufblitzt, ist die Vergangenheit festzuhalten.“ Womit wir wieder bei Moussa Kone, dem Zeichner, wären.

Brigitte Huck