ich spreche heute abend im Namen des Kunstbeirates der Arbeiterkammer Wien, also im Namen von Kerstin Engholm, Verena Formanek, Maren Lübbke-Tidow und mir selbst. Zuallerst möchte ich hier kurz meiner Begeisterung Luft machen, die Projekte von Matti Braun, Ayse Erkmen, Feld 72 und Misha Stroj sind umwerfend. Herzlichen, herzlichen Dank Euch allen.
Unser zweiter Dank geht an die Arbeiterkammer Wien. Die Arbeiterkammer Wien hat das alles möglich gemacht, insbesondere auch, dass wir alle, und das ist sehr selten für solche komplexe und im besten Sinn aussergewöhnliche Projekte, dass wir alle in gerade idealen Zuständen arbeiten können.
Dazu gehört nicht zuletzt eine grosszügige Gesprächskultur, denn als wir vor ein paar Jahren mit der Beratung begannen, war nichts gefestigt, alles offen und dementsprechend mussten wir alle erst einmal gemeinsam einen Weg finden. Natürlich kam uns bald die verlockende Idee, für die AK Wien eine hochkarätige Sammlung zu kuratieren, um diese dann bei Gelegenheit auf Wanderschaft durch verschiedene Museen zu schicken, das heisst, um die Werke, die Sammlung und uns selbst angemessen zu zelebrieren und zu veredeln. Aber wir wollten mehr, wir wollten, dass die Kunst im Alltag der AK Wien präsent ist und zwar in vielfacher Weise, als autonomes Bild, als temporäre Intervention und als permanente Installation. Im Zusammenhang mit der Erweiterung des Gebäudes kam die Diskussion bald einmal auf die Kunst am Bau, etwas, was ja gemeinhin nach übler Auftragskunst und Minderwertigkeit riecht. Aber wir waren alle der Meinung, dass man nicht aufgeben und weiterhin das Schwierige wagen sollte, gerade auch zu Zeiten der jetzt verflossenen Hochkonjunktur.
Wir haben es dann, wie gesagt, ideal getroffen, nicht nur mit dem Auftragsgeber, sondern auch mit den Architekten, den Künstlern und ihre Realisierungen.
Es gab also keine fertiges Konzept, aber natürlich eine Reihe von Ideen und Vorstellungen. Aber heute erst, im Anblick der Arbeiten von Matti Braun, Ayse Erkmen, Feld 72 und Misha Stroj ist uns klar geworden, wo die Qualitäten dieser Arbeiten liegen und damit auch, dass die Künstler uns den Weg weisen.
Zuerst einmal zeichnen sich alle ihre Realisierungen – und auch Thomas Bayrles jetzt verschwundene Wiener Tapete – durch klare Funktionalität und grosse Eigensprachlichkeit aus. Ich erkläre das anhand der Treppe von Feld 72: Es ist eine Treppenlandschaft mit Bergen und Tälern, sie ist ein Bild und eine Metapher für was einem im Leben so alles passieren kann und wie anstrengend und unwegsam es manchmal ist. Sie ist aber auch der Zugang, der sich zur Stadt hin öffnet, der die AK Wien ausweist als einen Ort, der nicht irgendwo ist, sondern in Wien und dass sie sich als öffentliche Institution versteht, also im Dienste der Öffentlichkeit stehend und diesem Dienst möglichst freien unterschiedlichen Zugang verschaffen will. Und dann hat diese Treppe, und ich denke, dass ist für alle anderen Arbeiten zentral, diese Treppe hat etwas spielerisches, nicht etwas kindisches, aber etwas spielerisches als Sinnbild für einen Zustand der Möglichkeiten. Das Spiel erprobt Möglichkeiten.
Genau das ist wiederum das Kerngeschäft der AK Wien mit über 60.000 Beratungen pro Jahr. Hier werden Möglichkeiten des Handelns erarbeitet und mit den Ratsuchenden diskutiert. Genau für dieses Hin und Her stehen Ayse Erkmens Fragezeichen und Ausrufezeichen, also Frage und Antwort, und gleichzeitig sind sie Sichtschutz, denn das Herausfinden und Diskutieren von Möglichkeiten bedarf, mindestens am Anfang einer gewissen Geschütztheit. Das heisst, in ihrer Arbeit Questions and Suggestions kommen Sinnbild und Funktion vorbildlich zusammen, jedoch ohne Moral oder Didaktik. Der Grund dafür ist, dass Erkmen für das Ernsthaft die Sprache des Unersthaften und Plakativen aufgreift, also die Sprache des Comix neu nutzbar macht. Dort holt sie sich Leichtigkeit und Witz, die beide, weil sie an diesem Ort doch in scharfem Kontrast zum wirklichen Leben stehen, dem ganzen eine undogmatische Ernsthaftigkeit verleiht.
Nicht unähnlich funktioniert das Wasserbecken von Matti Braun, dass zuerst einmal, aus dem 6. Stock betrachtet, ein unvergessliches Bild erzeugt. Aber dieses Bild hat, wenn man runterkommt, seine bestimmte Funktion, das Wasserbecken ist nämlich das neue Zentrum des kleinen Parkes, um das Wasserbecken lässt es sich sitzen, verweilen, denken, spazieren und picknicken. Dabei ist aber die Wasserfläche keineswegs dazu verdammt, stoisch und heroisch und in alle Ewigkeit selbstgenügsam vor sich hin zu spiegeln, sondern sie kann durchquert werden, als wäre man Jesus oder Huckelberry Finn oder Teil des Filmes von Jacques Tati, Teil also der berühmten Szene in Mon Oncle, wo einer der Besucher die Seerose im Teich mit einer Gartenplatte verwechselt und sich darauf hin einen Schuh voll Wasser herauszieht.
Sie sehen, ich könnte mich jetzt in Geschichte verlieren und genau das ist es, was ich heute entdeckt habe, warum diese Arbeiten, auch jene von Misha Stroj, so gut sind und uns so begeistern: weil sie alle auf ihre Art Geschichten erzählen, aber nicht irgendwelche, sondern immer vom realen Ort ausgehend. Darin liegt ihre grosse Qualität, dass sie Geschichten vor dem Hintergrund von Geschichte ausbreiten und auslösen. Und genau das wiederum steht auch im Zentrum der Arbeit der AK Wien: sich Geschichten anhören, den Geschichten der Einzelnen Zugänge zu verschaffen, um sie dann vor dem Hintergrund der Geschichte zu verstehen, zu interpetieren und bestmögliche Lösungen zu suchen.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Ayse Erkmen, AKKUNSTPROJEKTE, Kunst für den Erweiterungsbau der AK Wien