: Russen in Wien, Ausstellung 2005 : Texte
Ein Menge tapferer Soldaten
Russen in Wien

Fotos sind historische Quellen, aber auch Mittel der Propaganda. Der Dokumentation des flüchtigen Augenblickes ist gleichermaßen Gewalt wie Freiheit inhärent. Die Kamera ist Waffe und Mittel der Befreiung. Sie hält den Anblick des Todes fest und überwindet ihn zu einer schillernden Ewigkeit. Ganz besonders gilt das für die Fotografie des Krieges, in der sich Ästhetik und Ethik im permanent fragilen Gleichgewicht des Ausnahmezustandes befinden.

Die Bilder von Jewgenij Chaldej, Anatolij Grigorjew und Olga Lander, eine der wenigen Frauen unter den sowjetischen Fotografen des 2. Weltkrieges, haben diesen Moment der Freiheit zum Gegenstand. Sie entstehen unmittelbar nach der Befreiung Österreichs vom Nationalsozialismus zwischen April und Mai 1945. Zu allererst feiern die Fotografen ihr eigenes Medium: Anderes als unter den schwierigen Bedingungen der vier zurückliegenden Kriegsjahre verfügen die Frontberichterstatter erst jetzt über ausreichendes, vorwiegend aus erbeuteten deutschen Wehrmachtsbeständen stammendes Fotomaterial, um jeden einzelnen Soldaten zu fotografieren. Die abgebildeten Rotarmisten werden zu Helden, verhaltene, mitunter linkische Protagonisten des Krieges in ihrer Namenlosigkeit, Denkmäler unbekannter Soldaten zu Lebzeiten.

Sechzig Jahre nach Kriegsende wirken die Bilder aus Wien wie von einem anderen Planeten. Die Soldaten in fremder Uniform in den Straßen Wiens, die vor Sehenswürdigkeiten posieren und ihrem militärischen Alltag nachgehen, weisen auf den ganz und gar nicht trivialen Umstand hin, dass Österreich besetzt ist. Der den sowjetischen Soldaten attestierte „ewige Ruhm“ – im kollektiven österreichischen Gedächtnis ob der massenhaften Ausschreitungen im Zuge der Befreiung ohnedies nur auf höchst doppeldeutige Weise präsent – weist noch eine weitere Kehrseite auf. Die Porträts „der Russen“ sind Bilder von Siegern, die leer ausgehen.

Der Ruhm der Befreiung Europas vom Faschismus, mit dem ohnedies hohen Preis von mehr als dreißig Millionen gefallenen Sowjets, dient der Festigung von Stalins Diktatur – ein paradoxer Umstand, an den der russisch-amerikanische Literaturnobelpreisträger Jossif Brodskij in seinem Gedicht „An den Tod Schukows“ erinnert: „Russlands Geschichte kennt Massen / tapferer Soldaten, die furchtlos und kühn / im Angriff erst fremde Städte nahmen, / voller Angst dann zurück in die eigenen fliehen.“ Unter dem Glanz der Fotografie kommt das Elend der Geschichte zum Vorschein.

Erich Klein


Russen in Wien, Ausstellung 2005