: Misha Stroj, AK KUNSTPROJEKTE : Text
Achim Hochdörfer, MUMOK, Wien
Rede zur Eröffnung der Installation von Misha Stroj, Arbeiterkammer Wien, 9. 9. 2009


Es freut mich sehr, hier etwas zu dem neuen Projekt von Misha Stroj sagen zu dürfen. Seit einigen Jahren verfolge ich aufmerksam seine Projekte, seine Präsentationen bei Kerstin Engholm, seine sehr gelungene Einzelausstellung im Salzburger Kunstverein vor zwei Jahren und nicht zuletzt seine Publikationen, in der die Komplexität seines Arbeitsprozesses sehr schön sichtbar wird. Es ist gar nicht so leicht zu formulieren, was ich an Misha Strojs Kunst faszinierend finde: sein breites Wissen um kunstgeschichtliche Zusammenhänge verbinden sich bei ihm mit einem tiefgreifenden philosophischen und theoretischen Wissen: er hat neben seinem Kunststudium an der Wiener Akademie auch Philosophie studiert. Seine Projekte sind immer sehr grundsätzlich angelegt, so als würde er sich einem bestimmten Thema enzyklopädisch, ja geradezu „universalistisch“ nähern. Immer wieder geht es darum, ein bestimmtes Feld in seiner ganzen Dynamik und seinen widerstreitenden Kräften zur Darstellung zu bringen. Jedoch ist jeder Versuch in der Moderne, das „Ganze“ zur Darstellung zu bringen, dazu verdammt, beim Fragment anzufangen, bruchstückhaft zu bleiben, nur in Andeutungen zu sprechen – in dieser Dialektik, diesem Kontrast zwischen nebensächlicher Bastelei und einer hintergründigen Andeutung auf größere Zusammenhänge bewegt sich auch Misha Strojs neue Installation hier in der Arbeiterkammer.

Ein Kunstprojekt für die Arbeiterkammer zu realisieren ist in der Tat keine leichte Aufgabe: es handelt sich ja hier nicht um einen „normalen“ Ausstellungsraum, keinen White Cube, keine kontemplative Betrachtungssituation, in der man sich auf die Kunstwerke konzentriert. Ganz im Gegenteil: Man steht hier in einem Nutzungszusammenhang, es ist ein Empfangsraum, Aufenthaltsraum, in dem der Kundenverkehr stattfindet. Mehr noch: Es ist ein Empfangsraum der Arbeiterkammer, in den Arbeiter und Angestellte mit Fragen, Sorgen, Problemstellungen kommen und nach Rat, nach einer Hilfestellung fragen.

Auch architektonisch hat es die Kunst hier nicht ganz leicht: die zu bespielende Wand befindet sich hinter massiven Pfeilern und den Schaltern, nicht in einem geschützten musealen Ambiente, wo sie ein Eigenleben führen kann. Wir befinden uns also in einem Raum der „Halbaufmerksamkeit“ (Misha Stroj), in der Kunst eher ein Beiwerk ist, eine Nebensache (ein parergon, wie Derrida sagen würde). Keiner der normalen Besucher rechnet hier mit Kunst, hat die Zeit oder den Kopf, sich intensiver darauf einzulassen. Und doch ist es ein Raum, in dem man sitzt, wartet, sich Gedanken macht, und die wo Kunst in einzelnen Momenten womöglich ganz gute Chancen hat, dass einige Besucher trotzdem einen ganz persönlichen und spezifischen Zugang finden können.

Wie reagiert nun Misha Stroj auf diese Situation? Er nimmt genau diese Frage der „Halbaufmerksamkeit“ zum Ausgangspunkt seines Arrangements: Die sechs zur Verfügung stehenden Wände hat Stroj regelmäßig mit je neun relativ kleinformatigen Reliefs – er spricht von „Diagrammen“ – verteilt. Es ist eine unhierarchische Anordnung, keine Schwerpunktsetzungen, keine privilegierten Sichtachsen; die BesucherInnen können an jedem Punkt einsteigen. Um diesen Einstieg gewissermaßen zu erleichtern hat Misha Stroj in jedes der Reliefs eine Beschriftung, ein Täfelchen integriert. Es ist, als wollte Stroj dem Verlangen der meisten Besucher, zuerst den Titel des Bildes zu lesen, bevor man auf das Bild selbst schaut, zuvor kommen, und hat deshalb das Täfelchen gleich ins Bild gesetzt. Auf diesen Täfelchen stehen nun ganz unterschiedliche Sätze, Sinnsprüche, Aphorismen – „one liner“ –, die zuweilen wie Volksweisheiten daherkommen, einige sind rätselhaft, andere dagegen sehr direkt, unmittelbar emotional und existentiell. Die Besucher sitzen also da und lesen gedankenverloren eines der Schildchen; womöglich beginnt es in einigen von ihnen zu wirken, sie schauen nochmals hin, stehen auf und überlegen, wie der Spruch mit den Formen zusammenhängt; vielleicht schauen sie sich ein zweites, drittes Relief an, beginnen Verbindungen zu knüpfen, Sinnzusammenhänge zu erschließen; vielleicht beginnen sie, die künstlerischen Formen auf ihre eigene Situation zu beziehen – und an einem unbestimmten Zeitpunkt hören sie wieder auf, vielleicht, weil es ihnen zu absurd vorkommt, vielleicht, weil sie einfach aufgerufen werden oder anderweitig unterbrochen werden.

Misha Stroj nimmt diese Situation einer „Halbaufmerksamkeit“ sehr ernst. Man könnte sagen, dass er sie zum Ausgangspunkt einer sehr grundlegenden Reflexion über die Verstrickung der Kunst in alltägliche Handlungszusammenhänge nimmt. Dies zeigt bereits der sehr komplexe Arbeitsprozess, der zu diesen 54 Reliefs geführt hat. Als Stroj den Auftrag im Herbst 2008 erhalten hat, begann er zunächst mit einer langwierigen Recherche-Phase hier in der Bibliothek der Arbeitskammer. Er begann damit, bestimmte Suchbegriffe einzugeben, wie etwa „Krise“, „Depression“, „Sorge“, „Hoffnung“; er las Bücher dazu, sozialhistorische ebenso wie literarische und kunsthistorische Bücher, die ihren Weg hier in die Bibliothek gefunden haben. Nach und nach kristallisierte sich der Begriff der „Ermutigung“ als ein Kristallisationspunkt heraus, der, wenn ich so sagen darf, eine Brücke zwischen der Aufgabe der Arbeiterkammer und der Kunst schlägt. Stroj wählte also nach einem längeren Recherche-Prozess ca. 20 Bücher aus, aus denen er verschiedene Sätze, Wendungen Appelle destillierte und die gewissermaßen den Leitfaden für den weiteren künstlerischen Arbeitsprozess bildeten.

Im Frühjahr dieses Jahres trat Stroj dann eine ausgedehnte Reise nach Südamerika an, wo er seine Recherchen mit konkreten Erfahrungen konfrontierte – insbesondere in Kollaborationen mit Arbeitern und deren unterschiedlichen Arbeitsweisen vor Ort. Gleichzeitig begann er sie mit unterschiedlichen formalen Problemstellungen und theoretischen Ansprüchen der (neo)avantgardistischen Kunst quer zu lesen, Verbindungen herzustellen, ein sehr kompliziertes Netzwerk zu erstellen: Wenn Sie aufmerksam die einzelnen Reliefwände abgehen, wird Ihnen die fast enzyklopädische Zusammenstellung unterschiedlichster avantgardistischer Arbeitsweisen und theoretischer Entwürfe auffallen. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Allein in der ersten Sektion mit den ersten 9 Reliefs sehen sie Anspielungen auf rationalistische Architektur, auf die Konzeption des Readymade, aber auch auf expressionistische Arbeiter-Plastik einer Käte Kollwitz, auf Gordon Matta-Clarks Zeichnungen mit ausgeschnittenen Formen, Eva Hesses herabhängende Materialien, verschiedene Abdrucktechniken und Medien bis hin zur Fotografie und Malerei – sie sehen schon aus diesen wenigen Bemerkungen, dass Misha Stroj eine Art Grammatik unterschiedlicher Formensprachen und Arbeitsweisen der modernen Kunst entwickelt, eine „fragmentierte Totalität“ gewissermaßen.

Entscheidend dabei scheint mir, dass Strojs 54 Reliefs so konzipiert sind – einzeln und in ihrer Abfolge – dass sie ganz bewusst unterschiedlichen Zugänge und Reflexionshöhen zulassen. Einerseits erlauben die Reliefs einen ganz leichten, fast naiven Zugang – Stroj nennt seine Objekte deshalb auch „kleine Ambitionen“: einfache appellative Sätz verbinden sich mit einfachen künstlerischen Handlungen und Formen. Je näher man sich jedoch auf das Netzwerk von Sätzen und künstlerischen Arbeitsweisen einlässt, desto tiefer dringt man in den von Stroj entworfenen Kosmos. Ich denke, dass Stroj hier sehr bewusst nach einem Weg gesucht hat, wie moderne Formensprachen in einem alltäglichen Kontext integrierbar sind, ohne sich in überhöhte avantgardistische Utopien zu flüchten oder aber populistisch zu werden: Populismus als eine Strategie der Verführung – durch knallige Farbe und übergroße Formate etwa – um die Kluft zwischen ästhetischer Autonomie und ökonomischen Zweckzusammenhang vermeintlich aufzuheben. Ich denke, dass es Misha Stroj hier modellhaft gelungen ist, die Widersprüche und Bedingtheiten, in denen sich Kunst in der Moderne befindet, offen darzulegen und dennoch mögliche Zugänge zu Arbeitsweisen und Formensprachen der Kunst zu eröffnen.


Misha Stroj, AK KUNSTPROJEKTE