: Arbeitsmodelle 2004 : Text von Götz Bury aus feine art, Dezember 2004 über das Projekt
constantin luser – arbeitsmodelle

beim betreten eines hauses hat man gewöhnlich wenig interessante optionen. man geht die einzige treppe hoch, wählt etage und türnummer. aus. da muß das gehirn gar nicht erst eingeschaltet werden. beim betreten der arbeiterkammer gibt es auch exotischere wahlmöglichkeiten. bevor man in den aufzug steigt, um sich dort für k bis d zu entscheiden, besteht zum beispiel noch die möglichkeit zwischen a oder b zu wählen. a oder b klingt existenziell. die kantine hat einen vorgeschobenen horchposten errichtet, der rechtzeitig die beliebtheit der menüs a und b ermitteln soll. ein ranking. wer kinder hat weiß, um die täglich neue herausforderung des koches.
der eingang ist immer ein sensibles terrain. hier entscheidet sich alles. nicht nur die beliebtheit des koches. die existenz der ganzen institution steht praktisch zur disposition. sie steht und fällt mit den signalen, die hier gegeben werden können. denn die klienten entscheiden wahrscheinlich genau hier, ob man sie liebt, oder nicht. eine lebensentscheidende frage. sein oder nicht sein. vermintes terrain. absolute chefsache. wer hier einen vorposten errichten kann, hat ein wirklich wichtiges anliegen.
in diese hochsensible zone hat man nun für zwei wochen eine kunstguerilla entsandt, um ein bißchen aufzuräumen. eine intervention nennt man das in krisengebieten ebenso wie in der kunstwelt. constantin luser hieß der anführer der truppe, die auch noch aus selma doborac und lukas gahler bestand.
was war nun die aufgabe dieser untergrund-kunst-kämpfer? da seit geraumer zeit verschiedenste kunstprojekte im und um das haus in der prinz-eugen-straße durchgeführt werden, bei denen die kunstwerke - wie man das eben so macht - fix und fertig angeliefert werden, entstand die interessante idee, einmal ein werk in auftrag zu geben, das in einem längeren prozess vor aller augen entstehen sollte. ein experiment, ein lernprozess. es sollte darüber hinaus ein kunstwerk mit ablaufdatum entstehen, insofern, als das werk nach vorbestimmter Zeit wieder rückgebaut werden sollte. dies entspringt einer haltung, die die kunst eher als teil des normalen lebens betrachtet, und eine musealisierung mit all ihren unangenehmen begleitaspekten vermeiden will. kommunikative und interaktive elemente sollten insbesondere im vordergrund stehen.
als basislager wurde von constantin luser & co. auf ebene d des hauses ein raum namens d14 ausgekundschaftet und in einer sofortmaßnahme in „ich“ umbenannt. in der manier von handwerkern am bau wurde zur einstimmung eine improvisierte skizze an die wand geworfen, obwohl zugegebenermaßen lageskizzen direkt auf der makellosen bürowand wohl üblicherweise nicht gerade der feinen englischen art entsprechen. doch war dies nur der auftakt für einen eingriff viel größerer dimension. der kampfplan sah nämlich vor, analog zu raum d14, den gesamten eingangsbereich des gebäudes mit vergleichbaren gedanken- und ideenfragmenten zu bepflastern. wie sich zeigte, eine sehr schwierige aufgabe, angesichts der dichte der nutzung dieses bereiches des hauses.
selma doborac machte sich daran, ein sozusagen anonymisiertes video der wartenden von schalter 1 bis 3 zu drehen, in dem vorwiegend füße und unterschenkel der teils nervös, teils ungeduldig anstehenden personen zu sehen waren, mit dem ziel, den wartenden personen auf der anderen seite der halle auf einem bereits vorhandenen fernsehschirm, auf dem üblicherweise die ak videoclips laufen, zu präsentieren. ein psychogramm des wartens sozusagen.
aus den wänden begannen bald eigenartige plastellinbeulen zu wachsen, und nach und nach füllten sie sich auch mit feinen strichmustern und gedankeskizzen. In ausführlichen gesprächen und recherchen wurde das gesamte umfeld ausgeleuchtet und zur dokumentation abfotografiert.
lukas gahler lötete fremdartige „hirnmasse“ , die auch teil der ausstattung wurde. die roten zeichnungen constantin lusers, ganz einfach mit permanent marker auf die wand geschrieben, geben minutiös auskunft über die umstände ihrer entstehung. sie fungieren auch in anderen zusammenhängen oft als temporäre kunstwerke, die nach ende ihrer vorgesehenen ablauffrist wieder ausgelöscht werden. prozessorientierte kunst, die von stimmungen und eindrücken während ihrer entstehung lebt, deren konservierung für die nachwelt nicht als primäres ziel angesehen wird. der prozess wird zum thema selbst und somit ist vorwiegend der weg das ziel. der betrachter kann in dem fertigen werk anschließend die umstände seiner entstehung ablesen, sofern er willens und in der lage ist, einerseits genau zu betrachten und andererseits die überfülle der angebotenenen daten auch aufzufassen.

constantin lusers art zu zeichnen hat ähnlichkeit mit datenschreibern, die die zustandsdaten verschiedener sensoren auf einem speichermedium ablegen. die darstellung ist daher auch konsequenterweise der computergraphik entlehnt, die ja in oft sehr ausgeklügelter form, und optisch äußerst anspruchsvoll, dieses Basismaterial bildhaft zu veranschaulichen sucht. dieser vorgehensweise der systematisierung und vereinfachung liegt ja wahrscheinlich der tiefere wunsch zugrunde, die sehr verwirrende vielfalt des menschlichen lebens einigermaßen verständlich zu machen. ein thema, bei dem ja moderne datenverarbeitung oft leichtfertig weit mehr verspricht, als sie tatsächlich halten kann. Luser bedient sich dieser wissenschaftlichen stilmittel, ohne ihnen die entsprechenden inhalte wirklich mitzugeben, denn sein anliegen ist eher emotionaler und erzählerischer natur.
so gibt es in den zeichnungen einerseits körperbetonte aspekte, indem oft mit mehreren stiften gleichzeitig gearbeitet wird, um momentanen impulsen folgend, formhafte gebilde zu schaffen, die am ehesten an oszillierende graphengebirge erinnern. sie halten die zeichnung optisch zusammen. ergänzt werden diese durch reihungen und zuordnungen von begriffen, sowie bildhaften darstellungen, die aber nur scheinbar einer nachvollziehbaren systematik folgen.

daneben werden aber auch geographische gegebenheiten, wie steckdosen, oder alarmknöpfe, die an diesem ort normalerweise die korrekte präsentation eines kunstwerkes stören würden, in das werk einbezogen. diese einbeziehung stellt insofern einen besonderen reiz dar, als man übliches dogmatisches denken belächelt, das zur vollendeten präsentation von kunst ideale räume fordert, wie sie das leben einfach nicht zur verfügung stellt.

Wer zeit und geduld mitbringt, dem erschließen sich bei der betrachtung viele geschichten, wie die vom gestohlenen handy, vom dichtenden nachtportier, von der langeweile im wartebereich, von alois klas, dem das arbeiterdenkmal gewidmet wurde, vom verschwundenen teller einer reisedelegation und vom rückzugsort d14, am anderen ende des liftes.

man muß nun natürlich nicht denken, daß angesichts der potentiellen bedrohung die guerillaabwehr der ak vollkommen geschlafen hätte. sie hat rechtzeitig gegenmaßnahmen ergriffen, die zu aller überraschung nicht einmal unwillkommen aufgenommen wurden. So wurden beispielsweise scheinbar provozierende plastellinknödelchen von der wand gelöst, um sie in obszöner weise umzuformen, oder sie ergänzte auch zeichnungen an der wand, möglicherweise in dem nicht ganz unrichtigen bewußtsein doch auch selbst eine künstlerin zu sein. einige unanzügliche anregungen wurden von den künstlerinnen gerne aufgegriffen und wie zuvor auch steckdosen und feuermelder in das wachsende werk integriert.

götz bury
Aus: feine art, dezember 2004


Arbeitsmodelle 2004